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Vater mögest Du „verrecken“ – wie entziehe ich dem Kind den Pflichtteil?
(OLG Saarbrücken, 5 U 61/15)
In der täglichen Beratungspraxis äußern die Mandanten oft den Wunsch, dass eines ihrer Kinder nichts erben und insbesondere auch nicht den Pflichtteil erhalten soll. Dem ersten Wunsch, wonach man das Kind enterben will, ist aus anwaltlicher Sicht leicht zu entsprechen: Hierzu müssen die Eltern lediglich ein Testament aufsetzen, in welchem sie anordnen, wer anstelle des Kindes erbt oder in welchem sie festlegen, dem betroffenen Kind nichts zukommen zu lassen.
Schwieriger ist es jedoch, den oft geäußerten Wunsch des Mandanten einer Lösung zuzuführen, wonach das Kind am Nachlass der Eltern überhaupt nicht partizipieren soll, das Kind also auch nicht den sog. Pflichtteil beanspruchen könnte.
Der Pflichtteil ist ein Minimum an Geldvermögen, welches ein Kind nach dem Tod seiner Eltern aus dem Nachlasswert beanspruchen kann.
§ 2333 Abs. 1 BGB regelt die Anforderungen, welche an den Entzug des Pflichtteils seitens der Eltern gegenüber eines der Kinder zu stellen sind. Neben den wenig relevanten Fallgruppen, wie etwa das Verbüßen einer längeren Gefängnisstrafe, einem versuchten Tötungsdelikt gegen die Eltern oder vernachlässigter Unterhaltspflichten, kommt es regelmäßig darauf an, ob sich das Kind gegenüber seinen Eltern eines „schweren vorsätzlichen Vergehens schuldig“ gemacht hat.
Die oft anzutreffende Konstellation der Entfremdung zwischen Eltern und Kind reicht für den Entzug des Pflichtteils also nicht aus – gemeint ist hier, dass Eltern und Kind sich auseinandergelebt haben und schon über Jahre oder gar Jahnzehnte keinerlei Kontakt mehr pflegen.
Vielmehr muss das Kind gegenüber einem Elternteil eine Verfehlung begangen haben, die einerseits schwer wiegt und andererseits die den Eltern gegenüber geschuldete familiäre Achtung schwer verletzt. Die Rechtsprechung stellt hier auf eine empfindliche Störung des Eltern-Kind-Verhältnisses ab.
Den hohen Anforderungen an den Entzug des Pflichtteils tat eine Tochter gegenüber ihrem Vater genüge, welche in einem von dem Saarländischen Oberlandesgericht zu entscheidenden Rechtsstreit ihrem Vater mehrfach ins Gesicht schlug, ihm im Anschluss demonstrativ den Mittelfinger ins Gesicht hielt, ihn währenddessen als „Dreckschwein“, „Arschloch“ und „Idiot“ betitelte und ihm abschließend den Tod mit den Worten er möge „verrecken“ wünschte (OLG Saarbrücken – Urteil vom 05.10.2016 – 5 U 61/15). Hier sahen die Richter die hohen Anforderungen des Pflichtteilsentzugs als gegeben an und bejahten die Rechtmäßigkeit des Entzugs des Pflichtteils durch den Vater gegenüber der Tochter.
Grenzfälle sieht die Rechtsprechung dort, wo das Kind gegenüber den Eltern einmalig gewalttätig und beleidigend in Erscheinung trat aber der Anlass hierfür in einem Affekt des Kindes lag. Exemplarisch sei hierfür die Eskalation auf einer Familienfeier genannt, in welchem ein Elternteil und das Kind – womöglich enthemmt durch Alkohol – verbal und physisch in eine Auseinandersetzung geraten. Lag der Anlass hierfür beispielsweise in Sticheleien des Vaters, welcher mit der Lebensführung des Kindes unzufrieden ist und kommt es dann durch das Kind zu einem verbal lautstark und zusätzlich vielleicht auch mit Handgreiflichkeiten geführten Streit, so spricht viel dafür, dass die hohe Messlatte der Pflichtteilsentziehung noch nicht erreicht ist, weil es sich um einen einmaligen Vorfall handelte.
In jedem Falle müssen der Sachverhalt und die Hintergründe, welche den Elternteil veranlassen, dem Kind den Pflichtteil zu entziehen, im Testament nachvollziehbar aufgezeigt werden.
Laurens Häfner
Rechtsanwalt -
Inflationsausgleichsprämie als Vergleichspotential
Relativ neu und teilweise unbekannt ist die seit 26.10.2022 gesetzlich geregelte Möglichkeit einer Inflationsausgleichsprämie (kurz IAP). Gem. § 3 Nr. 11c EStG kann der Arbeitgeber bis 31.12.2024 dem Arbeitnehmer eine IAP bis zu einer Höhe von 3.000,00 € zahlen.
§ 3 Nr. 11c EStG lautet:
„
Steuerfrei sind,
zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 26. Oktober 2022 bis zum 31. Dezember 2024 in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bis zu einem Betrag von 3 000 Euro“.
Bei diesem Betrag handelt es sich um einen Nettobetrag, d.h. es sind weder Steuern
noch Sozialversicherungsabgaben zu entrichten.
Aufgrund des Wortlautes der Bestimmung lann die IAP in mehreren Teilbeträgen, maximal allerdings in Höhe von 3.000,00 € gezahlt werden.
Es muss sich um einen Arbeitnehmer im steuerlichen Sinne handeln, freie Mitarbeiter sind somit ausgeschlossen.
Dies kann für die Arbeitsvertragsparteien von enormer Bedeutung sein, insbesondere wenn sie sich in einem außergerichtlichen oder gerichtlichen Streit befinden. Je nach den Umständen des Einzelfalles kann eine Einigung und Beendigung des Streits in Betracht kommen, indem diese IAP gezahlt wird und sich die Parteien im übrigen darauf verständigen, dass keine weiteren Ansprüche bestehen. Natürlich darf die IAP nicht anstelle des Lohns gezahlt werden.
Beachte: Bei der Vergleichsformulierung sollte großer Wert auf die einzelnen Regelungen und des Wortlautes gelegt werden.
Rudolf Hahn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht -
Verfassungsbeschwerde gegen berufsbezogene Impfpflicht
Ich hatte am 22.03.2022 eine Verfassungsbeschwerde gegen § 20a IfSG erhoben, welcher die Impfpflicht in gesundheitsbezogenen Einrichtungen regelt. Konkret vertrete ich vorliegend 9 Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer, welche beruflich im Bereich der Psychotherapie tätig sind. Die aus meiner Sicht umfassende Begründung fand beim Bundesverfassungsgericht wenig Gegenliebe und die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen mit der Begründung, ich hätte nicht hinreichend die Möglichkeit dargelegt, warum die Beschwerdeführer in eigenen Grundrechten verletzt sein könnten. Hier mag sich jeder selbst seine Meinung bilden. Die Sache beschäftigt nun den EGMR.
Die Verfassungsbeschwerde sowie die Entscheidung werden hier mit ausdrücklicher Erlaubnis der Mandantschaft veröffentlicht. Ich weise darauf hin, dass es sich um urheberrechtlich geschütztes Material handelt.
Florian Gempe
Rechtsanwalt -
Bemerkenswertes Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 29.03.2022
Unwirksame Suspendierung von Arbeitnehmern im Gesundheitswesen
Liebe Leser,
das Arbeitsgericht Dresden Urteil vom 29.03.2022, Az. 9 Ga 10/22 gab einer Pflegefachkraft recht und verurteilte die Arbeitgeberin zur tatsächlichen Beschäftigung trotz Suspendierung im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.
Die Arbeitnehmerin habe einen Anspruch auf Beschäftigung aufgrund des unbeendeten Arbeitsverhältnisses gem. § 611 a Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag. Neben der Beschäftigungspflicht ist der Arbeitgeber auch verpflichtet, die vertraglich vereinbarte Vergütung zu zahlen.
Wiederholt hatte bereits das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der Arbeitnehmer aufgrund des im Grundgesetz verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechtes und der Menschenwürde einen allgemeinen Beschäftigungsanspruch habe. Eine einseitige Suspendierung von der tatsächlichen Arbeitsleistung ohne Vergütung – wie dies aktuell einige Arbeitgeber bis Ende des Jahres machen – ist rechtlich unzulässig. Eine Suspendierung – allerdings in einem anderen Kontext – hatte bereits das Bundesarbeitsgericht völlig zu Recht im Jahre 1993 für unzulässig angesehen.
Hieran kann auch die Argumentation der Arbeitgeberseite mit § 20 a IfSG nicht greifen. Methodologisch geht das Arbeitsgericht nach den Grundsätzen der Systematik des § 20 a IfSG vor und beruft sich auch auf die Gesetzesbegründung zur BT-Drucksache 20/188. Im Ergebnis ist das Verbot der Beschäftigung ausschließlich in § 20a Absatz 3 Satz 4 IfSG geregelt für Neueinstellungen ab dem 16.03.2022. Es fehlt an einem Beschäftigungsverbot für bestehende Beschäftigungsverhältnisse. Allein das Gesundheitsamt hat zu entscheiden, ob sie dem betroffenen Arbeitnehmer untersagt, den Betrieb zu betreten und zu arbeiten, vgl. § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG.
Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen und schlussfolgern, dass die Regelungen in § 20 a IFSG mit dem Grundgedanken der Berufsfreiheit, wie er vom Bundesverfassungsgericht präzisiert wurde (vgl. Bundesverfassungsgericht Entscheidung 105, 265 und 103, 172) nicht vereinbar ist und einen Verstoß gegen Art. 12 GG darstellt.
Es bleibt zu hoffen, dass sich andere Gerichte der überzeugenden Argumentation des Arbeitsgerichts Dresden anschließen.
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Forderungsbeitreibung mit Schrotflinte ist kein Mord (BGH, Urteil vom 15.12.2021, Az.: 6 StR 312/21)
Der Bundesgerichtshof hatte über einen Fall zu entscheiden, in welchem der Gläubiger einer Geldforderung den offenen Betrag mit einer Schrotflinte beim Schuldner eintreiben wollte. Das Vorhaben missglückte. Der Schuldner ließ sich trotz Warnschuss nicht beeindrucken und versuchte, den Gläubiger zu entwaffnen. Dieser hatte Angst vor einer gewalttätigen Auseinandersetzung und schoss auf den Schuldner, welcher daran verstarb.
Ein Totschlag nach § 212 StGB ist ebenso unproblematisch gegeben wie der illegale Besitz der Schusswaffe nach WaffG. So wurde der Angeklagte vom Landgericht verurteilt. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage hatten nur insoweit Erfolg, dass der BGH noch die Straftat der versuchten Nötigung (§§ 240, 22, 23 StGB) hinzufügte. Hierbei kommt es auf die Rechtswidrigkeit der Nötigungshandlung an. Während das Landgericht offenbar davon ausging, dass eine berechtigte Forderung dies ausschließe, bejahte der BGH richtigerweise die Rechtswidrigkeit aufgrund der Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation.
Ein Mord nach § 211 StGB sei dagegen nicht gegeben, bestätigte der BGH. Es fehle an Mordmerkmalen; insbesondere Heimtücke, Habgier und niedrige Beweggründe seien nicht gegeben, da die Tötung im Rahmen der Durchsetzung einer berechtigten Geldforderung erfolgte. Im Grundsatz erscheint das richtig, Habgier setzt jedenfalls eine ungerechtfertigte Bereicherung voraus. Sicherlich kann man sich aber über das Merkmal der niedrigen Beweggründe streiten, denn der Gläubiger verfolgte sein Ziel, welches in der Selbstjustiz und der Umgehung des staatlichen Gewaltenmonopols bestand, um jeden Preis und ging dafür über Leichen. Der BGH sieht dies offenbar anders.
Eine schwere räuberische Erpressung mit Todesfolge (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2, 251 StGB) ist ebenfalls ausgeschlossen, da die Durchsetzung eines fälligen Anspruchs keine rechtswidrige Bereicherung darstellt. Insofern ist dem BGH vollumfänglich zuzustimmen.
(BGH, Urteil vom 15.12.2021, Az.: 6 StR 312/21)
Florian Gempe
Rechtsanwalt
Strafverteidiger