• Strafrecht

    Volksverhetzung in Chatgruppen der Polizei? (LG Frankfurt a.M.)

    Das Landgericht Frankfurt am Main hat sich im Beschluss vom 13.02.2023 (Az.: 5/6 KLs 6110 Js 249194/18 – 1/22) mit der Strafbarkeit inkriminierter Äußerungen in Chatgruppen (i.d.R. WhatsApp oder Telegram) auseinandergesetzt (veröffentlicht in StraFo, Heft 4, April 2024, S. 150).

    Im Fokus der Betrachtung stehen Inhalte, die in der Regel die Tatbestände des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB) und der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllen. Dies kann bekanntermaßen sehr schnell der Fall sein, sobald man sich über bestimmte Minderheiten kritisch äußert, kontroverse politische Ansichten vertritt oder sich mit historischen Themen aus einem anderen Blickwinkel befasst. Natürlich gibt es auch viel Schund und Schmutz, der im Internet und in entsprechenden Chatgruppen verbreitet wird, aber die Strafwürdigkeit solchen Verhaltens darf angezweifelt werden. Der ultima-ratio-Grundsatz des Strafrechts ist heute längst aus dem Blick geraten.

    Vorliegend ging es in der Entscheidung des LG Frankfurt a.M. um eine Chatgruppe von Polizeibeamten, die (schwankend) maximal 10 Mitglieder hatte. Darin wurden diverse Nachrichten ausgetauscht, deren Niveau teilweise unterirdisch gewesen sein soll und die – was hier als wahr unterstellt werden soll – in großem Umfang strafbare Inhalte zeitigten. Das betrifft Textnachrichten, Bilder, Videos und sog. Memes. All dies wurde fröhlich unter den Mitgliedern der Chatgruppe ausgetauscht, vermutlich vorrangig zur Belustigung oder als überspitzte Gesellschaftskritik. Diesen Personen soll die Strafbarkeit der Inhalte bekannt gewesen sein, daher habe man nur bestimmte Personen, die zum vertrauten Kreis gehörten (Polizeibeamte) und sich einem bestimmten Initiationsritual unterzogen, aufgenommen. Kurz gesagt: Die Leute kannten einander.

    Die Staatsanwaltschaft behauptete schlichtweg, die Nachrichten seien zur weiteren Verbreitung bestimmt gewesen, zumindest hätten die Mitglieder dies billigend in Kauf genommen.

    Das Landgericht hat diese pauschale Unterstellung der Staatsanwaltschaft kritisiert und die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Dies gleicht einem Freispruch. Das Landgericht geht intensiv auf das Merkmal des Verbreitens ein, denn beide Vorschriften (§ 86a und § 130 StGB) setzen eine öffentliche Verwendung oder ein Verbreiten der strafbaren Inhalte voraus. Die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, mit der sich das Landgericht ausgiebig auseinandersetzt, sei der Grund, warum der Gesetzgeber nicht bestimmte Inhalte oder Gedankenäußerungen an sich unter Strafe stellte, sondern lediglich bestimmte Formen der Äußerung, hier das Verbreiten. Dementsprechend werden die Voraussetzungen dessen juristisch korrekt geprüft. Die darin enthaltenen Auslegungen sind nicht neu, sondern bereits seit Jahrzehnten in Rechtsprechung und Literatur anerkannt. Umso erstaunlicher ist es, dass Presse und Staatsanwaltschaften immer wieder das Gegenteil behaupten und mit schlichten Behauptungen einen Verbreitungsvorsatz konstruieren wollen, um zu einer Strafbarkeit unerwünschten Verhaltens zu gelangen. Das Landgericht Frankfurt a.M. geht da nicht mit, sondern verneint zutreffend die Strafbarkeit.

    Es kann eben nicht ohne weitere Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass die bloße Einstellung eines inkriminierten Inhalts in einer Chatgruppe impliziere, dass es dem Teilnehmer gleichgültig sei, ob ein anderer den Inhalt teilt. Selbst wenn, würde dies nicht genügen, um die Meinungsfreiheit derart einzuschränken. Die bloß abstrakte Möglichkeit der Weitergabe – die immer vorliegt – genügt gerade nicht, um eine konkrete Verbreitung und einen darauf gerichteten Vorsatz zu begründen.

    An einer Stelle verweist das Gericht auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG), die auch in den Blick genommen werden müsse.

    Im Ergebnis bleibt es dabei, dass der Austausch entsprechender Nachrichten in Chatgruppen nicht strafbar ist, solange die Mitglieder einander kennen und nicht mit einer Weitergabe an Außenstehende rechnen. Würde jemand seinen Inhalt mit dem Zusatz versehen „bitte teilen“, wäre dies etwas anderes. Auch größere Gruppen, in denen die Mitgliederzahl unübersichtlich wird, man die anderen Teilnehmer nicht persönlich kennt oder fremde Leute gar beliebig beitreten können, würden dagegen als Öffentlichkeit gelten, sodass man sich bei entsprechenden Beiträgen durchaus strafbar machen würde. Hier war dies nicht der Fall.

    Erstaunlich ist allerdings, dass die Chatinhalte dieser Gruppe „Itiotentreff“ von der Gruppe um Jan Böhmermann (ZDF Magazin Royale) zu großen Teilen veröffentlicht werden. Dies scheint mir eher eine strafbare Veröffentlichung und Verbreitung zu sein, aber bei derartigen Autoren sieht die Staatsanwaltschaft in der Regel „Satire“ und lässt im Rahmen der Kunstfreiheit erstaunliche Dinge als straflos geschehen (vgl. die kürzlich ergangene Entscheidung der Staatsanwaltschaft Mainz, die ein Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann nicht einleiten will, obwohl dieser öffentlich zu Körperverletzungs-/Tötungsdelikten aufrief und forderte „Nazis keulen“ – es sei Satire). Aus diesem Grund halte ich es für spannend, dass das Landgericht Frankfurt a.M. auch im Zusammenhang der Chatgruppen die Kunstfreiheit ins Spiel bringt. Können nicht auch derartige Darstellungen / Bilder / Memes „Satire“ sein? Die Entscheidungen zum Thema Böhmermann in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die Niedertracht, Geschmacklosigkeit und Menschenverachtung kein Maßstab hierfür sein können, sondern „Kunst“ lediglich im Auge des Betrachters liegt.

    Der Beschluss des Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig, die Sache liegt offenbar noch in der Beschwerdeinstanz beim OLG Frankfurt a.M. (LTO vom 19.03.2024). Zwar kann sich das OLG darauf stützen, dass zur endgültigen Beurteilung erst eine Hauptverhandlung durchgeführt werden muss, im Ergebnis wird dies aber an den Voraussetzungen der Strafbarkeit nichts ändern, da das Landgericht lediglich die ständige Rechtsprechung zu den vorstehenden Paragrafen angewandt hat. Von daher ist mit einer Verurteilung hier nicht zu rechnen,

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    Florian Gempe
    Rechtsanwalt
    Fachanwalt für Strafrecht

  • Strafrecht

    BVerfG: Wohnungsdurchsuchung zur Ermittlung der Einkommensverhältnisse unzulässig

    Verteidiger kennen das leidige Problem: Der Beschuldigte möchte in der Hauptverhandlung keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen machen und das Gericht droht ihm mit einer Hausdurchsuchung, um diese Umstände zu ermitteln, woraufhin dann meist doch eine Einlassung diesbezüglich anzuraten ist.

    Das Bundesverfassungsgericht hat sich nun in einer ähnlichen Konstellation mit der Verhältnismäßigkeit einer solchen Wohnungsdurchsuchung befasst und dies für verfassungswidrig erklärt (BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, Az.: 1 BvR 52/23).

    Der Beschuldigte ist beamteter Lehrer und ihm wurde eine Beleidigung vorgeworfen. Sein Verteidiger gab im Ermittlungsverfahren eine Erklärung ab, die sich inhaltlich gegen die Tatvorwürfe richtete, aber zum Einkommen des Beschuldigten nur beiläufig mitteilte, er sei „Beamter im aktiven Dienst“.

    Die Staatsanwaltschaft hielt es nicht für nötig, nach den Details zu fragen, sondern beantragte beim Amtsgericht sogleich eine Wohnungsdurchsuchung zur Ermittlung der Einkommensverhältnisse für eine in Betracht kommende Geldstrafe. Die Ermittlungsrichterin unterzeichnete diesen Blödsinn und so standen unvermittelt mehrere Polizeibeamten in der Wohnung des Lehrers, die alles auf den Kopf stellen wollten. Dies konnte nur dadurch abgewendet werden, indem dieser entsprechende Unterlagen selbst heraussuchte und aushändigte.

    Die Beschwerde zum Landgericht blieb erfolglos. Eine Verfassungsbeschwerde war jedoch erstaunlicherweise erfolgreich. Während das Bundesverfassungsgericht sich bei vielen wichtigen Themen seiner Verantwortung entzieht und entsprechende professionelle Eingaben gar nicht erst zur Entscheidung annimmt, kam es hier zu einer Aufhebung der genannten gerichtlichen Entscheidungen. Zutreffend wurde festgestellt, dass das durchgeführte Procedere eine schwerwiegende Verletzung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) darstellt.

    Zwar sei es nicht generell ausgeschlossen, eine Durchsuchung nach § 102 StPO auch zur Ermittlung der etwaigen Tagessatzhöhe für eine Geldstrafe vorzunehmen, allerdings ist jedenfalls die Verhältnismäßigkeit zu beachten. Vorliegend kamen zunächst andere Mittel in Betracht:

    – schlichte Nachfrage beim Beschuldigten oder Verteidiger
    – Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beamten
    – Vornahme einer richterlichen Schätzung der Einkommensverhältnisse
    – Anfrage bei der BaFin
    – Einholung von Bankauskünften beim Kreditinstitut des Beschuldigten

    Da all dies unterblieben ist, konnte die Staatsanwaltschaft nicht einfach den schwerwiegenden Eingriff einer Wohnungsdurchsuchung wählen. Dies gilt vorliegend insbesondere im Hinblick auf die geringfügige Straftat (Beleidigung), die dem Beschuldigten vorgeworfen wurde.

    Für die Praxis ist die Entscheidung von großer Bedeutung, da oben dargestellte Drohungen von Gerichten keine Seltenheit sind. Diese können nun hierauf verwiesen werden, denn in aller Regel stehen andere Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die einen weniger invasiven Eingriff als eine Durchsuchung darstellen. Allerdings ist dabei auch immer auf die Schwere der Tatvorwürfe zu achten, da das BVerfG derartige Durchsuchungen nicht völlig ausschließen wollte.

    Florian Gempe
    Rechtsanwalt
    Fachanwalt für Strafrecht

  • Aktuell

    Bundesarbeitsgericht: Corona ist auch ohne Symptome eine Krankheit nach EFZG, auf Impfung kommt es nicht an

    Dem Bundesarbeitsgericht lag folgender Fall zur Entscheidung vor:

    Ein Produktionsmitarbeiter in der kunststoffverarbeitenden Industrie infizierte sich im Dezember 2021 mit SARS-CoV-2 und litt zunächst wenige Tage an Symptomen wie Husten und Schnupfen, die dann abgeklungen sind. Für 5 Tage wurde er vom Arzt krankgeschrieben. 2 Wochen dauerte jedoch seine behördlich angeordnete Quarantäne, weshalb er nicht an seinem Arbeitsplatz erscheinen konnte. Der Arbeitgeber weigerte sich zur Fortzahlung des Arbeitslohnes über die 5 Tage hinaus.

    Das Bundesarbeitsgericht bestätigte, dass die Infektion mit SARS-CoV-2 auch ohne Vorliegen von Symptomen ein regelwidriger Körperzustand ist, der eine Krankheit im Sinne von § 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) darstellt. Diese Erkrankung ist kausal für die Quarantäneanordnung und erfüllt damit die Voraussetzungen für den Entgeltfortzahlungsanspruch. Der Arbeitgeber muss zahlen.

    Das Spannende an der Entscheidung: Obwohl die Vorinstanz noch zugunsten des Arbeitgebers unterstellte, dass die Verweigerung der Corona-Impfung unvernünftig sei und ein Verschulden des Produktionsmitarbeiters an seiner Infektion begründen könne (dies wurde vom Bundesarbeitsgericht – jedenfalls nach bislang nur vorliegender Pressemitteilung – offenbar nicht überprüft), aber das BAG bestätigte die Einschätzung des Landesarbeitsgerichts Hamm, dass jedenfalls nicht nachweisbar ist, dass das Unterlassen der Impfung die Infektion begünstigt hätte. Umgekehrt formuliert: Laut Zahlen des Robert-Koch-Instituts hätte eine Impfung auch keinen wirksamen Schutz vor einer Infektion gebracht. Daher kann dem Arbeitnehmer kein Verschulden an seiner Corona-Infektion angelastet werden, egal ob geimpft oder ungeimpft, so das BAG.

    Darüber hinaus stellte das BAG fest, dass die fehlende Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arbeitnehmer im vorliegenden Fall unschädlich war, da die Vorlage der behördlichen Quarantäneanordnung einen anderen geeigneten Nachweis nach §§ 5, 7 EFZG darstellt.

    Die Entscheidung ist zu begrüßen, da sie einen Schritt weg von der Diskriminierung von „Ungeimpften“ darstellt. Es wäre jedoch erfreulich gewesen, wenn das BAG zugleich mit dem Mythos des unvernünftigen Verhaltens wegen der sog. Verweigerung einer Corona-Impfung aufgeräumt hätte. Wenn man sich die Risiken und Nebenwirkungen sowie die Fallzahlen der Impfgeschädigten anschaut, war es alles andere als unvernünftig, sich gegen diese Gentherapie zu entscheiden.

    Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.03.2024, Az.: 5 AZR 234/23

  • Allgemein

    „Du bist kein Chef, du bist ein L…“ – 

    Außerordentliche Kündigung wegen Beleidigung des Chefs im WhatsApp-Gruppenchat

    Probleme mit dem Vorgesetzten scheinen bei manchen Menschen früher oder später unausweichlich zu kommen. Egal, ob als Stilmittel in Serien und Filmen, Spielen oder in der Realität, es ist schon klischeehaft, wie oft dies vorkommt. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, wie man damit umgeht. Die meisten Menschen haben kein Problem mit ihren Vorgesetzten, andere hingegen stehen regelrecht mit ihnen auf dem Kriegsfuß und würden ihnen gern mal die Meinung sagen. Doch die wenigsten trauen sich dies persönlich und tun ihre Meinung bestenfalls auf WhatsApp kund. Dass dabei auch Beleidigungen fallen können, stellt keine Seltenheit dar. Doch stellt jede Aussage gegenüber dem Chef, die dieser als Beleidung auffassen könnte, einen Kündigungsgrund für eine fristlose Kündigung dar? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Arbeitsgericht Erfurt in dem rechtskräftigen Urteil vom 20.07.2022, Az.: 2 Ca 44/22.

    In diesem Fall stritten die Parteien über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Der Arbeitnehmer war bei dem Arbeitgeber seit mehr als 2 Jahren beschäftigt, ihm wurde durch Schreiben außerordentlich gekündigt. Hintergrund waren seine beleidigenden Sprachnach-richten in der WhatsApp-Gruppe der Arbeitgeberin. Dieser gehörten 13 Mitarbeiter und der Geschäftsführer selbst an. In dieser Gruppe wurde über Dienstpläne informiert. Seine Aussagen waren uter anderem: „Du bist kein Chef, du bist ein L….“. Deine Lieblinge….Sie sind Arschkriecher hoch 3 und kriegen nicht ihre Fressen auf“ und „Du als sogenannter Chef.“ Offenkundig nahm er diese Sprachnachrichten alkoholisiert nachts zwischen 01:30 und 02:00 Uhr auf. Er klagte u.a. darauf, dass die Kündigung unwirksam war.

    Das Arbeitsgericht Erfurt nahm dies als Grund für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 I BGB an. Die Kündigung war damit wirksam, auch ohne vorherige Abmahnung. Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Mitarbeiter stellen an sich einen gerechtfertigten Grund für eine Kündigung dar, wenn sie nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten.

    Der Arbeitnehmer kann sich dabei nicht auf sein Meinungsfreiheitsrecht aus Art. 5 I GG berufen. Das Gericht führt dazu aus: „Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet. Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer Kritik am Arbeitgeber, ihrem Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In groben Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position des Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (BAG vom 10.12.2099 – 2 AZR 534/08).“

    Die Aussagen „Du bist kein Chef, du bist ein L…“ und „Du als sogenannter Chef.“ stellen laut Gericht eine derartige Rechtsverletzung dar, die geeignet ist, das Ansehen des Geschäftsführers der Beklagten bei den anderen Mitarbeitern herabzusetzen.

    Außerdem beleidigte der Kläger durch die Sprachnachricht „Deine Lieblinge …..Es sind Arschkriecher hoch 3 und kriegen nicht ihre Fressen auf“ sowie mit weiteren Sprachnachrichten auch die Mitarbeiter.

    Die Alkoholisierung des Klägers konnte nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, da zwar seine Stimme verwaschen klang, aber für das Gericht nicht erkennbar war, dass er nicht wusste, was er sagt.

    Eine vorherige Abmahnung war nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entbehrlich, da eine Verhaltensänderung des Klägers nach einer Abmahnung nicht zu erwarten war. Der Kläger konnte erwarten, dass die Beklagte ihn, nach derartigen Beleidigungen, ohne vorherige Abmahnung kündigt und nicht davon ausgehen, dass er zunächst abgemahnt wird.

    Fazit:

    Auch das Gericht hatte die Einzelumstände wie den alkoholisierten Zustand des Arbeitnehmers, die Uhrzeit der Sprachnachrichten, etc. erkannt. Zuvor gab es keine derartigen Entgleisungen des Arbeitnehmers. Es stellte sich dann schon die Frage, weshalb dem Mitarbeiter nicht noch einmal eine Chance gegeben werden und mit einer Abmahnung reagiert werden hätte können – zumal sich Arbeitnehmer und Geschäftsführer persönlich kannten (oder gerade deswegen …).

    Dieser Sachverhalt, der dem Urteil des Arbeitsgerichts zugrunde lag, sollte nur exemplarisch sein, um die Problematik aufzuzeigen.

    WhatsApp-Gruppen in Firmen werden zunehmend genutzt, teilweise werden kurze Whats Apps geschrieben, teilweise werden Sprachnachrichten geschickt. Der Vorteil liegt auf der Hand, gerade bei erforderlicher Team- oder Schichtarbeit ist es extrem gut, wenn man sich kurzfristig austauschen kann. Die Arbeitnehmer sollten jedoch mit ihren Beiträgen vorsichtig sein, zumal wenn der Chef oder der Vorgesetzte mit in der Gruppe ist. Leider wird nach Auffassung des Unterzeichners das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG von den Arbeitsgerichten nicht so hoch angesiedelt wie dies der Fall sein sollte.

    Zumindest sollte stets gewürdigt werden, wie die Kommunikation grundsätzlich zwischen den WhatsApp Gruppenmitgliedern erfolgt und wann die Schwelle zur Beleidigung überschritten wird. Dies kann durchaus unterschiedlich der Fall sein. Jedenfalls muss immer der Einzelfall betrachtet werden.

    von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Rudolf Hahn, PhD.

  • Arbeitsrecht

    Tankkartenbetrug und fristlose Kündigung

    Gerade in Zeiten des Personalmangels gewährt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gerne zusätzliche Anreize wie Willkommensboni, Inflationsausgleichsprämien oder auch andere Vergünstigungen wie z. B. auch Tankkarten. Wobei letztere gerade für Mitarbeiter im Außendienst üblich sind. Dies erleichtert die Abrechnung. Der Arbeitnehmer ist berechtigt, die Tankkarte entsprechend einer Vereinbarung im Arbeitsvertrag oder eines Kfz-Überlassungsvertrages zu nutzen. Es liegt in der Natur des Menschen bzw. die Versuchung ist groß, die dienstliche Tankkarte auch für private Zwecke zu nutzen, um die hohen Spritkosten zu sparen.

    Aber Vorsicht: Ein Tankkartenmissbrauch ist eine strafbare Handlung und kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen, so das Landesarbeitsgericht Niedersachsen im Urteil vom 29.03.2023 (2 Sa 313/22), ohne dass vorher eine Abmahnung ausgesprochen wurde.

    Ein wichtiger Kündigungsgrund liegt vor, wenn der Arbeitnehmer ein Vermögensdelikt zum Nachteil seines Arbeitgebers begeht und den Arbeitgeber oder eine dritte Person (Tankwart) täuscht, so dass dies zu einem Vermögensschaden beim Arbeitgeber führt.

    Der Arbeitnehmer war seit 2011 im Vertrieb tätig und verdiente über EUR 15.000,00 brutto monatlich. Er erhielt einen Dienstwagen der Marke BMW 320d Touring (Diesel) und zwei Tankkarten, die er nur für den Dienstwagen nutzen durfte. Der Arbeitnehmer nahm mit den dienstlichen Tankkarten Tank- und Cabrio-Waschvorgänge bei seinen beiden Privatfahrzeugen (Porsche 911 Cabrio [Superbenzin] und VW Touareg [Diesel]) im Zeitraum 2019 bis 2021 in erheblichem Umfang vor.

    Der Arbeitgeber kündigte das mit dem Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Eine Abmahnung war vorher nicht erfolgt. Der Gesamtschaden belief sich auf ca. 3.000 €.

    Das LAG Niedersachsen erachtete die außerordentliche Kündigung für wirksam. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB kann auch in der Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten liegen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen war eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich. Dass die Handlungen über 3 Jahre gingen und der Arbeitgeber davon nichts mitbekommen haben will bzw. evtl. geduldet hat, war nicht entscheidend.

    Hierzu führt das LAG unter B I 2 d (cc) (2) aus:

    „…Soweit er nunmehr geltend macht, weil über 12 Jahre hinweg keine der Abrechnungen moniert worden sei, habe er darauf vertrauen dürfen, dass er die Nutzung der Tankkarten im Sinne der Beklagten vornehme, greift dies nicht durch. Dem Kläger musste bewusst sein, dass er die Tankkarten entgegen der ihm eingeräumten Befugnisse einsetzte. Die Regelungen in der Dienstwagenrichtlinie hinsichtlich der Benutzung des Dienstwagens und der Tankkarte sind eindeutig. Die Beklagte darf auf die Vertragstreue ihrer Beschäftigten vertrauen und ist deshalb nicht verpflichtet, alle denkbaren Umgehungen eines Verbotes zu umschreiben. Dem Kläger ist auch durch den Zeugen E. nicht eingeräumt worden, die Tankkarten entgegen der Dienstwagenrichtlinie auch für die Betankung seiner Privatwagen einzusetzen. Aus dem Nichtbeanstanden seines Vorgehens durch die Beklagte konnte der Kläger nicht ableiten, sein Verhalten werde geduldet, zumal er seine Tankbelege auch nicht bei dem kündigungsberechtigten Geschäftsführer der Beklagten oder bei dem Personalleiter eingereicht hat, sondern in der Buchhaltung. Dies gilt insbesondere auch bei Berücksichtigung der Nutzung der Tankkarte für die Cabrio-Pflege. Dieser Einsatz der Tankkarte hat überhaupt keinen Bezug zu der dienstlichen Tätigkeit des Klägers, sondern ist eindeutig seinem Privatleben zuzuordnen. Es ist auch nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht behauptet, dass er davon ausgehen durfte, die 14-tägigen Tankkartenabrechnungen der Mineralölfirmen würden dem kündigungsberechtigten Geschäftsführer der Beklagten oder bei dem Personalleiter vorgelegt. Insgesamt konnte der Kläger deshalb aus der Nichtbeanstandung seiner Tankkartenbelege eine Duldung oder Genehmigung seines Verhaltens durch die Beklagte nicht ableiten. Der Kläger hat planvoll und zielgerichtet gehandelt. Angesichts der Häufigkeit der fehlerhaften Nutzung liegt kein Flüchtigkeitsfehler oder einmaliger Ausrutscher vor. Eine Wiederherstellung des für das Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauens konnte durch den Ausspruch einer Abmahnung nicht erwartet werden. Unabhängig davon ist tragend auszuführen, dass zumindest bei Gesamtbetrachtung aller Verstöße im Hinblick auf die klaren Regelungen zum Umgang mit den Tankkarten eine Abmahnung entbehrlich war.“

    Fazit:

    Es ist immer wieder zu sehen, dass Arbeitnehmer sich weitere Vorteile im Arbeitsverhältnis verschaffen wollen. Dies war auch vorliegend der Fall. Es scheint auch so zu sein, dass der Arbeitgeber oder zumindest ein Vorgesetzter diese Pflichtverletzungen durchaus mitbekam. Aber wie so häufig gilt: wenn die Erfolge stimmen, sieht man gerne und wohlwollend über Versäumnisse des Arbeitnehmers hinweg. Bleiben die Erfolge jedoch aus oder kommt es zu Spannungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, kommen diese Pflichtverletzungen wieder zu Tage und müssen für eine Kündigung herhalten. Auch hier gilt: es kommt in jedem Einzelfall darauf an, ob die Pflichtverletzung für den Ausspruch einer fristlosen außerordentlichen Kündigung reicht, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde, ob vorher eine Abmahnung ausgesprochen werden hätte müssen und ob der Betriebsrat ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung angehört wurde.