Der BGH hat zuletzt entschieden, dass der Verteidigung eine angemessene Vorbereitungszeit für den Schlussvortrag zu gewähren ist (BGH, Urteil vom 18.04.2024, Az.: 6 StR 545/23).
Das Landgericht Lüneburg hatte u.a. wegen versuchten Totschlags verhandelt und 3 Hauptverhandlungstage angesetzt. Am 2. Sitzungstag wurde der Hinweis erteilt, dass auch versuchter Mord in Betracht komme, und der Angeklagte wurde plötzlich im Sitzungssaal verhaftet. Am 3. Verhandlungstag wurden – unvorhergesehen – noch mehrere Zeugen vernommen und nachmittags meinte das Gericht dann, die Verteidigung solle nun plädieren. Der Verteidiger beantragte eine Unterbrechung und Anberaumung eines weiteren Fortsetzungstermins – ohne Erfolg. Das Landgericht war der Meinung, die Verhandlungsdauer sei kurz gewesen und man benötige keine besondere Vorbereitungszeit. Es wurde taggleich zu Ende gebracht, was einmal angefangen war, und es erging ein Urteil mit entsprechender Freiheitsstrafe (Jugendstrafe).
Der 6. Senat des BGH hat das Urteil wegen Verfahrensmängeln aufgehoben. Zu Recht beanstandet er, dass das Landgericht die Rechte der Verteidigung unangemessen verkürzt habe. Der Verteidigung hätte – vor allem in Anbetracht der veränderten Umstände und der Zeugenvernehmungen – eine angemessene Vorbereitungszeit für das Plädoyer eingeräumt werden müssen. Dem ist zuzustimmen. Eine konkrete Zeitspanne nennt der Senat nicht; man müsse – wie immer – auf die Umstände des Einzelfalles schauen.
Leider enthält die Entscheidung keine Aussage zu der Frage nach § 265 StPO. Nach dessen Abs. 3 und Abs. 4 kann die Verteidigung die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen, wenn aufgrund eines rechtlichen Hinweises eine schwerere Verurteilung in Betracht kommt (das lag vor), dies auf neu hervorgetretenen Umständen beruht (darüber kann man sich streiten) und ein bestimmter Antrag gestellt wird (das ist hier unbekannt). Daneben ergibt sich ein Anspruch auf Aussetzung auch bei einer stark veränderten Sachlage im Zusammenhang mit einem rechtlichen Hinweis. Unabhängig davon, dass die von dem dortigen Verteidiger gestellten Anträge hier nicht bekannt sind, wäre die Anwendbarkeit dieser Vorschrift naheliegend gewesen und eine Erörterung wäre wünschenswert gewesen.
Florian Gempe
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht