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Unterschiedliche Entscheidungen des VGH München zu 2G – auch OVG des Saarlandes hebt 2G auf
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in den letzten Wochen sehr unterschiedliche Entscheidungen zu den 2G-Regelungen in Bayern getroffen. Eine kurze Chronologie:
Beschluss vom 8. Dezember 2021, Az. 20 NE 21.2821
Der Antrag auf einstweilige Anordnung im Normenkontrollverfahren, der sich gegen zahlreiche 2G-Regelungen insbesondere in der Beherbergung und der Gastronomie wurde als unbegründet zurückgewiesen, da die 2G-Regelungen (Zutritt nur für Geimpfte und Genesene) voraussichtlich rechtmäßig seien. Die Regelungen seien verhältnismäßig.Beschluss vom 21. Dezember 2021, Az. 20 NE 21.2946
Der Eilantrag gegen 2G-Plus-Regelungen (Zutritt nur für Geimpfte und Genesene mit zusätzlichem Testnachweis) wurde als unbegründet zurückgewiesen. Zwar sei die Rechtmäßigkeit dieser Regelungen im Eilverfahren noch nicht abschätzbar, jedoch ergebe die Folgenabwägung, dass eine Aufhebung zu größeren Nachteilen der Bevölkerung führen würde, als eine Zurückweisung des Antrages Nachteile für den Antragsteller bedeute.Beschluss vom 29. Dezember 2021, Az. 20 NE 21.3037
Ein Bekleidungsgeschäft richtete einen Antrag gegen die 2G-Regelungen, nach welcher nur Geschäfte des täglichen Lebensbedarfs frei zugänglich sind. Da die Regelungen, die das Gericht zwar generell für verhältnismäßig und rechtmäßig halte, keine Definition des täglichen Lebensbedarfs enthalte und Bekleidungsgeschäfte nicht aufgezählt sind, erklärte das Gericht, dass derartige Geschäfte keinen Zutrittsbeschränkungen unterliegen. Der Bedarf an Bekleidung könne täglich auftreten. Gut für die Antragstellerin. Dummerweise wurde der Antrag als unzulässig zurückgewiesen, damit die Antragstellerin sämtliche Kosten tragen muss. Ähnlich erging es einem Spielzeughändler.Beschluss vom 19. Januar 2022, Az. 20 NE 21.3119
Ein neuerer Antrag gegen dieselben Regelungen war plötzlich erfolgreich. Das Gericht nahm die Unklarheit über die Geschäfte des täglichen Lebensbedarfs zum Anlass, die 2G-Regelungen in Bayern für den Einzelhandel aufzuheben. Natürlich stellt sich die Frage, was sich nun geändert hatte, außer vielleicht die Argumentation der Antragsteller. Das Gericht gehe natürlich weiterhin davon aus, dass die Regelungen weiterhin (wie bereits entschieden) verhältnismäßig und verfassungskonform seien. Aber die Unklarheit über den täglichen Lebensbedarf sei natürlich entscheidend.Letztere Entscheidung ist im Ergebnis zu begrüßen, wenngleich die Argumentation zahlreiche Argumente vermissen lässt. Beispielsweise: Was ist mit der Unwirksamkeit der Impfung im Hinblick auf die Infektionen und die Weitergabe des Virus (wie vom RKI bestätigt)? Was ist mit den Impfdurchbrüchen unter der Omikron-Variante, die höher sind als die Impfquote? Was ist mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes)? Was ist mit den zahlreichen gefährlichen Nebenwirkungen der Impfstoffe (laut PEI) – ist der erzeugte Impfdruck zulässig oder sogar ein probates Mittel?
Es zeigt sich aber erneut, dass es sich lohnt, Normenkontrollanträge in den Bundesländern durchzuführen. Wenn schon einige Eilanträge erfolgreich sind (siehe auch OVG Lüneburg und VGH Mannheim), werden noch mehr Hauptsacheverfahren erfolgreich sein. Ich führe derzeit auch in Thüringen Normenkontrollverfahren gegen 2G-Regelungen, Ausgangssperren, Kontaktbeschränkungen und sonstige Diskriminierungen von Ungeimpften. Der Ausgang bleibt abzuwarten.
Florian Gempe
Rechtsanwalt
StrafverteidigerAktualisierung: Ähnlich wie der VGH München in seiner letzten Entscheidung sieht es nun auch das OVG Saarlouis (Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 21.01.2022, Az.: 2 B 295/21) und hat die 2G-Regelungen im Einzelhandel aufgehoben.
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Ausgangssperre rechtswidrig – Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (Aktenzeichen: 20 N 20.767)
„Es wird festgestellt, dass § 4 Abs. 2 und 3 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung vom 27. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) unwirksam war“. (Aktenzeichen: 20 N 20.767)
Damit schließt sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, der im Januar noch Eilanträge gegen die Ausganssperre zurückgewiesen hatte, nun der Auffassung des OVG Lüneburg an (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht vom 06.04.2021, Az.: 13 ME 166/21).
Die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen seien zum einen nicht erforderlich, da andere geeignete Mittel der Pandemiebekämpfung zur Verfügung stünden, etwa eine weitere Beschränkung der zulässigen Kontaktpersonen. Zum anderen sei die Ausgangssperre nicht angemessen, also verhältnismäßig im engeren Sinne, da der allenfalls geringe Effekt, der von ihr ausgeht, in keinem Verhältnis zu den damit verbundenen Beschränkungen der Freiheitsrechte der Bürger steht.
Die Entscheidung ist zu begrüßen. Es stellt sich jedoch die Frage, mit welcher Begründung das Bundesverfassungsgericht die mit Bundesgesetz eingeführte Ausgangssperre („Bundesnotbremse“) rechtfertigen will. Dazu sind wahrscheinlich parteipolitisch interessierte Richter und Geschäftsessen mit der Bundesregierung erforderlich. Ansonsten dürften im Bundesgebiet dieselben Tatsachen vorherrschen wie in Bayern und in Niedersachsen. Nur die rechtlichen Auffassungen könnten abweichen.
Florian Gempe
Rechtsanwalt
StrafverteidigerDer Volltext der Entscheidung lag bei Veröffentlichung des Artikels noch nicht vor. Quelle der Informationen: br.de und bild.de
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Bundesverwaltungsgericht: Für Kinderschutzverfahren (§ 1666 BGB) sind nicht die Verwaltungsgerichte, sondern ausschließlich die Familiengerichte zuständig
Nun hat das Bundesverwaltungsgericht die Zuständigkeitsfrage geklärt. Für Kinderschutzverfahren nach § 1666, die sich u.a. mit der Maskenpflicht in Schulen befassen, sind nicht die Verwaltungsgerichte zuständig, wie oftmals behauptet wurde, sondern nach wie vor ausschließlich die Familiengerichte.
BVerwG 6 AV 1.21 – Beschluss vom 16. Juni 2021
BVerwG 6 AV 2.21 – Beschluss vom 16. Juni 2021
Pressemitteilung Nr. 44/2021 vom 25.06.2021Dies bestätigt die Entscheidung des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 28.04.2021, Az.: 20 WF 70/21). Das OLG Jena (Beschluss vom 14.05.2021, Az.: 1 UF 136/21) lag somit falsch, denn es hatte die vielbesagte Entscheidung des Amtsgerichts Weimar (Beschluss vom 08.04.2021, Az.: 9 F 148/21) aufgehoben, weil angeblich der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei.
Auffallend ist, dass das Bundesverwaltungsgericht die erfolgten Verweisungen an die Verwaltungsgerichtsbarkeit als qualifizierten Verfahrensverstoß ,“nicht mehr nachvollziehbar“ und „offensichtlich unhaltbar“ bezeichnet. Das bezieht sich auf das prozessuale Recht.
Allerdings sagt das Bundesverwaltungsgericht auf der anderen Seite (obiter dictum), dass „familiengerichtliche Anordnungen gegenüber Behörden rechtlich ausgeschlossen sind“. Das bezieht sich auf das materielle Recht. Diese umstrittene Rechtsfrage mag hier unpassend erscheinen, da die Verwaltungsgerichtsbarkeit ja nach eigener Entscheidung gerade nicht hierüber zu urteilen hat, wann die Voraussetzungen des § 1666 BGB vorliegen und wann nicht.
Die Entscheidung trägt in jedem Fall zur Klarheit bei und ist eine deutliche Antwort auf diejenigen, die bei abweichenden Rechtsansichten gleich „Rechtsbeugung“ behaupten und Hausdurchsuchungen anordnen.
Florian Gempe
Rechtsanwalt
Strafverteidiger -
05.10.2020 Systematische Zeiterfassung – Beziehungen unter den EU-Mitgliedstaaten
Liebe Leser,
heute ein Hinweis in eigener Sache:
In meinem Beitrag
“ Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur systematischen Arbeitszeiterfassung als rechtliche Grundlage der Beziehungen unter den EU-Mitgliedstaaten “
in der Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht (ZESAR) 2020, 368ff. gebe ich einen kompakten Überblick über die Entscheidung des EuGH vom 14.5.2019 (Rs. C-55/18) über die systematische Arbeitszeiterfassung. Ich untersuche die Rolle der EU-Mitgliedstaaten untereinander, denn die Einrichtung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung ist für die einzelnen Mitgliedstaaten verpflichtend. Dies hat das Ziel ein übergreifendes einheitliches Rechtssystem im Arbeitsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten zu schaffen, um ein unionsweiten Arbeitnehmerschutz zu gewährleisten.
Viel Spaß beim Lesen
Ihr
Rudolf Hahn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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24.09.2020 Verfall von Urlaub bei Langzeiterkrankten – Hinweispflichten
Liebe Leser,
müssen Langzeitkranke im Laufe des Jahres aufgefordert werden, den verbleibenden Urlaub zu nehmen, da er andernfalls Ende Dezember verfällt. Das BAG hat diese Frage mit Beschluss vom 07.07.2020 (9 AZR 401/19) dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.
Der Urlaub entsteht jeweils für ein Kalenderjahr. Er soll im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden und erlischt – soweit noch nicht genommen – grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres. Urlaub wird ausnahmsweise bis zum 31.03. des Folgejahres aus dringenden betrieblichen Gründen oder aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers übertragen.
Nach dem Urteil des BAG vom 19.02.2019 Az. 9 AZR 541/15 obliegt dem Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich und nachweislich – auffordert, den Urlaub auch zu nehmen. Außerdem hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt.
Wenn der Urlaub im Kalenderjahr aufgrund von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden kann, wird er übertragen und muss bis zum 31.03. des Folgejahres genommen werden.Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichtes erlöschen die gesetzlichen Urlaubsansprüche nicht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gehindert war, den Urlaub im Urlaubsjahr und im Übertragungszeitraum zu nehmen. Gesetzlicher Urlaub bedeutet 4 Wochen Urlaub. Darüber hinaus gehende Urlaubstage können von den Arbeitsvertragsparteien frei geregelt werden.
Damit verfällt jedenfalls der gesetzliche Urlaubsanspruch bei Langzeitkraken nicht nach dem gesetzlichen Übertragungszeitraum, am 31.03. des Folgejahres.Nach der Rechtsprechung des BAG erlischt der gesetzliche Urlaubsanspruch von langzeiterkranken Arbeitnehmern nach 15 Monaten nach Ablauf des Urlaubsjahres. Der Urlaubsanspruch 2019 erlischt bei dauerhafter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit damit mit Ablauf des 31.03.2021.
Höchstrichterlich bisher nicht geklärt ist die Frage, ob die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers für den Verfall von gesetzlichen Urlaubsansprüchen auch gegenüber langandauernd erkrankten Arbeitnehmern bestehen.
Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage nunmehr dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Kann der Urlaubsanspruchs nach Ablauf einer 15-Monats-Frist auch dann erlöschen, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.
Die Vorlagefrage betrifft den vor der langandauernden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers entstandenen und nicht genommenen Urlaub.
Ganz klar ist die Situation nicht. Die Vorlagefrage kann m. E. nur Sachverhalte betreffen, bei denen der Arbeitgeber damit rechnen können muß, dass der langzeiterkrankte Arbeitnehmer auch wieder bis zum Jahresende arbeitsfähig wird und so überhaupt erst in der Lage ist, den Urlaub zu nehmen. Anderenfalls würde eine Hinweis- und Aufforderungspflicht ins Leere gehen. Und eine Pflicht gegenüber dem Arbeitgeber auszusprechen, einen Hinweis ins Blaue hinein, zu erteilen, erscheint auch nicht angebracht. Es bleibt abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof in Brüssel entscheidet.Ihr
Rudolf Hahn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht