• Strafrecht

    Rechtsbeugung?

    Liebe Leser, nachdem mein letzter Beitrag vom 23.03.2021 viel Lob und Kritik hervorgerufen hat, möchte ich heute einmal auf die strafrechtlichen Aspekte eingehen, die damit zusammenhängen. Dies soll recht sachlich, juristisch-kühl und emotionslos ablaufen.

    Bekanntermaßen hat die Staatsanwaltschaft Erfurt eine Hausdurchsuchung bei dem erkennenden Richter des Amtsgerichts Weimar durchführen lassen wegen des Anfangsverdachts der Rechtsbeugung. Ist das möglich? Ist das rechtens?

    Der Tatbestand der Rechtsbeugung ist in § 339 StGB geregelt. Der Wortlaut ist kurz und präzise:

    „Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.“

    Eine Beugung des Rechts im Sinne dieser Norm setzt eine falsche Anwendung einer Rechtsvorschrift voraus. Falsch ist diese erst dann, wenn sich die Entscheidung außerhalb des juristisch Vertretbaren bewegt, ein sog. Rechtsbruch. Der Richter ist nicht gehalten, der herrschenden Meinung oder den Obergerichten zu folgen. Er darf auch Mindermeinungen oder eine eigene Rechtsauffassung vertreten (Bange in: BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg, 49. Edition, Stand: 01.02.2021, § 339 Rn. 11). Was vertretbar und unvertretbar ist, hat die Rechtswissenschaft zu beantworten. Es gibt verschiedene Auslegungsmethoden. Vereinfacht gesagt ist der Richter jedoch dann auf der sicheren Seite, wenn er sich im Rahmen des Wortlauts der Norm bewegt. Die Rechtsbeugung setzt dagegen nach der BGH-Rechtsprechung weiter voraus, dass der Rechtsbruch eine Qualität erreicht, wonach er sich als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege darstellt (ebenda).

    Weitere Voraussetzung der Rechtsbeugung ist im subjektiven Tatbestand der Vorsatz (§ 15 StGB). Der Richter muss also wissen oder zumindest billigend in Kauf nehmen, dass er einen solchen schwerwiegenden Rechtsbruch begeht.

    Die Staatsanwaltschaft hat die Aufgabe, einen Sachverhalt zu ermitteln, um prüfen zu können, ob eine Straftat vorliegt oder nicht. Hierzu stehen verschiedene Mittel zur Verfügung, u.a. die Hausdurchsuchung (§ 102 StPO). Dafür genügt zwar ein sog. Anfangsverdacht (geringer Verdachtsgrad), jedoch muss auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachtet werden, da die Hausdurchsuchung einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Beschuldigten darstellt. Über die letzteren Punkte mag man streiten. Es erschließt sich nach der Lektüre des Weimarer Beschlusses jedoch nicht, woraus sich ein Anfangsverdacht ergeben soll.

    Ein Rechtsbruch des Verfahrensrechts dürfte schwer zu begründen sein. Für die Anordnungen nach § 1666 BGB (Kinderschutzverfahren) ist ausschließlich das Familiengericht zuständig, nicht das Verwaltungsgericht. Das ist allgemeine Ansicht in der Jurisprudenz. Wenn das Familiengericht eine Anregung erhält, hat es zu prüfen, ob es ein derartiges Verfahren einleitet oder nicht. Hierzu aktuell kurz und bündig das Oberlandesgericht Karlsruhe, welches diese Ansicht bestätigt (Beschluss vom 28.04.2021, Az.: 20 WF 70/21), hier zum Download:

    Beschluss des Oberlandesgericht Karlsruhe vom 28.04.2021, Az.: 20 WF 70/21

    Das in den Medien und selbst bei Verwaltungsgerichten kursierende Argument, das Amtsgericht Weimar habe zu Unrecht seine Zuständigkeit angenommen, ist mithin falsch.

    Es verbleibt also die Möglichkeit eines Rechtsbruchs des materiellen Rechts. Das Amtsgericht Weimar müsste die Voraussetzungen des § 1666 BGB völlig zu Unrecht angenommen haben und hierbei vorsätzlich einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege herbeigeführt haben. Schauen wir uns § 1666 BGB genauer an:

    „(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
    […]
    (4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.“

    Das Amtsgericht Weimar hat nach drei für den konkreten Fall eingeholten Sachverständigengutachten die Voraussetzungen dieser Norm mit umfassender Begründung bejaht. Worin soll der eklatante Rechtsbruch liegen? Das einzig mir bekannte Argument stammt von den Verwaltungsgerichten und geht dahin, dass „Dritte“ im Sinne des Abs. 4 lediglich Privatpersonen sein könnten, nicht jedoch Träger der öffentlichen Gewalt. In meinem letzten Beitrag hatte ich bereits Gründe angeführt, warum man dies auch anders sehen kann. Interessanterweise findet man in einigen der führenden BGB-Kommentare (Palandt, BeckOK, Erman, NomosKommentar) diese Einschränkung auf Privatpersonen nicht. Es muss schon der Münchener (Groß-) Kommentar bemüht werden, damit man dazu eine Meinung findet. Aus dem Wortlaut ergibt sich eine solche Beschränkung ebensowenig. Es ist hier folglich nicht mal einen Rechtsbruch zu erkennen, geschweige denn ein elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege. Ein Vorsatz des Richters ist bei einer derart ausführlichen Begründung des Beschlusses schwerlich vorstellbar, mag sein, dass die Staatsanwaltschaft mit der Durchsuchung sich Anhaltspunkte hierzu erhoffte. Wenn jedoch der objektive Tatbestand bereits anhand einer rechtlichen Prüfung (offensichtlich) ausscheidet, entfällt Anfangsverdacht.

    Eine ausführliche und lobenswerte Analyse des Falles aus familienrechtlicher Sicht findet sich beim Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte.

    Jeder möge sich selbst seine Meinung hierüber bilden.

    Florian Gempe
    Rechtsanwalt
    Strafverteidiger

  • Strafrecht

    Streit über Corona-Abstandsregeln führte zu Körperverletzung – Notwehr?

    Beim Amtsgericht München ist ein Rentner wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt worden, weil er einen anderen Rentner im Streit um die Corona-Abstandsregeln mit einem Müllsack geschlagen und damit leicht verletzt hat (AG München, Urteil vom 24.11.2020, Az.: 824 Cs 431 Js 162556/20).

    Der Zeuge sei ihm beim Verladen von Grünabfällen auf dem Wertstoffhof zu nahe gekommen, obwohl er zur Risikogruppe gehöre und er ihn mehrfach aufgefordert habe, den Abstand wiederherzustellen. Der Zeuge erlitt durch den Schlag Schürfwunden und Schwellungen im Gesicht. Dabei lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB ohne Weiteres vor, jedenfalls nach den Tatsachenfeststellungen des Amtsgerichts. Ein gefährliches Werkzeug nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB wurde zu Recht verneint.

    Es bleibt allerdings die Antwort auf die Frage offen, ob hier nicht ggf. Notwehr (§ 32 StGB) gegen einen rechtswidrigen Angriff des Zeuge vorlag. Nach allgemeinen Grundsätzen dürfte die Verletzung von Abstands- und Hygienevorschriften (egal, ob man diese für sinnvoll erachtet) die Verletzung von Rechtsgütern eines Dritten darstellen – nämlich der körperlichen Unversehrtheit (Stichwort Infektionsschutz). Das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes hätte daher von Amts wegen zwingend geprüft werden müssen.

    Am Rande sei erwähnt, dass die Geldstrafe von 90 Tagessätzen bei dem nicht vorbestraften Angeklagten und den geringfügigen Verletzungen durchaus überhöht erscheint.

    Der Volltext lag bei Abfassung des Beitrages noch nicht vor. In der Pressemitteilung des AG München Nr. 56/2020 v. 18.12.2020 ist auf die Frage der Notwehr jedenfalls nicht eingegangen worden.

    Florian Gempe
    Rechtsanwalt
    Strafverteidiger

  • Strafrecht

    Unterschrift des Verteidigers muss (ansatzweise) lesbar sein

    Das Oberlandesgericht Hamburg hatte über eine Revision zu entscheiden, deren Begründung nur unzureichend vom Verteidiger unterschrieben gewesen sein soll. Auf dem Schriftstück, welches den Briefkopf des entsprechenden Rechtsanwalts enthielt, sei am Ende über der maschinenschriftlichen Wiedergabe des Wortes „Rechtsanwalt“ lediglich ein handschriftliches Zeichen „in Gestalt zweier verbundener und zum Teil verschlungener Haken“ ersichtlich gewesen. Dies genüge nicht den Anforderungen des § 345 Abs. 2 StPO. Eine Revisionsbegründung erfordere besondere Verantwortung des Rechtsanwalts für den Schriftsatz. Daher müsse ein Leser, der den Namen des Autors kennt, diesen zumindest anhand des Schriftzuges erahnen können. Lesbar müsse die Unterschrift nicht sein. Ein Hauch von 1-2 Buchstaben genüge aber nicht. Es sei ein Mindestmaß an Ähnlichkeit mit dem Familiennamen des Unterzeichners erforderlich (Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20.11.2020, Az.: 2 Rev 55/20).

    Die Entscheidung kann durchaus hinterfragt werden. Zum einen gilt es anscheinend unter Juristen fast wie bei Ärzten als „chic“ oder künstlerisch, ihre Unterschrift möglichst unleserlich erscheinen zu lassen, zum anderen unterschreiben auch die Richter ihre Urteile gemäß § 275 Abs. 2 S. 1 StPO oftmals auch nur mit einer krakeligen Symbolik, die allenfalls dann den Unterzeichner erkennen lässt, wenn man dieses Bild bereits kennt. Warum die Revisionsbegründung nun solch besonderen Anforderungen unterliegen sollte, dass die Symbole des Verteidigers, welche für alle vorherigen Schriftsätze in dem dortigen Strafverfahren ausreichten, plötzlich nicht mehr ausreichen, lässt sich wohl schwerlich damit begründen, dass  § 345 Abs. 2 StPO den Wortlaut einer „unterzeichneten Schrift“ enthält. Stellt es nicht evtl. eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Gerichts oder eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar, wenn man einen Verteidiger sämtliche missratene Unterschriften in einem Strafverfahren „durchgehen“ lässt und erst bei der Revisionsbegründung behauptet, es liege kein formgültiger Schriftsatz vor? Wobei man dem Gericht zugestehen muss, dass – zumindest laut Beschlussbegründung – der Rechtsanwalt in demselben Verfahren offenbar verschiedene Unterschriften verwendet hatte.

    Jedenfalls sollten alle Verteidiger hier aufpassen und gar nicht erst eine derartige Angriffsfläche bieten.

    Florian Gempe
    Rechtsanwalt
    Strafverteidiger

  • Strafrecht

    Schwerer räuberischer Diebstahl durch Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs (BGH, Beschluss vom 08.04.2020, Az.: 3 StR 5/20)

    Der Bundesgerichtshof hatte über den Fall zu entscheiden, dass der Täter in die Wohnung des Opfers eindrang, sich dort mit Beutegut und einem Küchenmesser ausstattete und das Opfer im Schlaf überraschte. Als sich beide gegenüberstanden rief der Täter, er habe ein Messer. Das Opfer konnte das Messer aufgrund der Dunkelheit nicht sehen, glaubte aber (natürlich) der Äußerung und ließ den Täter entkommen, aus Angst, er könnte es mit dem Messer verletzen. Es stellt sich die Frage, ob es sich um eine Qualifikation des räuberischen Diebstahls nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB handelt (gefährliches Werkzeug mit sich führen – Mindeststrafe 3 Jahre) oder nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (gefährliches Werkzeug verwenden – Mindeststrafe 5 Jahre).

    Der BGH hat entschieden, dass die schärfere Qualifikation vorliege. Der Täter habe das Messer bei der Tat verwendet, indem er dem Opfer damit gedroht habe. Dies sei damit zu begründen, dass der Wortlaut des § 250 StGB nicht darauf abstelle, auf welche Weise und durch welche Sinnesorgane das gefährliche Werkzeug wahrgenommen werde. Entsprechend könne auch z.B. eine Pistole Verwendung finden, indem ein Warnschuss abgegeben oder die Waffe in den Rücken gedrückt wird, ohne dass sie durch das Opfer gesehen wird (BGH, Beschluss vom 08.04.2020, Az.: 3 StR 5/20).

    Kritiker sehen dies anders. Unabhängig davon, dass es richtig sei, dass es nicht auf die Art und Weise der Sinneswahrnehmung ankommt, wurde das gefährliche Werkzeug hier durch die bloßen Worte, ein Messer zu haben, nicht „verwendet“ im Sinne der Vorschrift. Es gehe über den Wortlaut hinaus, den bloßen Hinweis auf ein gefährliches Werkzeug als Verwenden anzusehen – das sei anders als z.B. beim Warnschuss, für welchen die Waffe bzw. das gefährliche Werkzeug unmittelbar eingesetzt wird (vgl. Ruppert, StraFo 2020, 505 f.).

    Florian Gempe
    Rechtsanwalt
    Strafverteidiger

  • Strafrecht

    Gleichzeitige Verhängung von Geldstrafe und Freiheitsstrafe (Urteil des BGH vom 27.05.2020)

    Obwohl zu diesem Thema kaum veröffentlichte Rechtsprechung existiert, da das Vorgehen in der Regel nur bei Einverständnis aller Beteiligten gewählt wird (vgl. Heim, StraFo 20, 403), ist es nach dem Gesetz möglich, neben einer Freiheitsstrafe gleichzeitig eine Freiheitsstrafe zu verhängen.

    Dies ist nicht nur bei der Gesamtstrafenbildung möglich (§ 53 Abs. 2 S. 2 StGB), sondern auch bei einheitlichen Verurteilungen (§ 41 StGB). Oftmals wird dieses Mittel gewählt, um eine Freiheitsstrafe auf maximal 2 Jahre zu reduzieren, damit die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Wiegt die Schuld zu schwer, kann mit einer gleichzeitig verhängten Geldstrafe eventuell ein Ausgleich geschaffen werden. Die Gerichte machen es sich hiermit jedoch oft zu einfach. Der Bundesgerichtshof hat dies kritisiert und festgehalten, dass § 41 StGB an strenge Voraussetzungen geknüpft ist (BGH , Urteil vom 27.05.2020 – Az.: 5 StR 603/19 – NStZ-RR 2020, 239).

    Nach den Feststellungen des BGH genügt es nicht, wenn das Gericht feststellt, dass einzelne Voraussetzungen des § 41 StGB gegeben sind – wie beispielsweise eine Bereicherung durch die Tat. Vielmehr muss das Gericht vor allem auch in einer Gesamtwürdigung sich umfassend mit der Frage auseinandersetzen, warum die Anwendung und Rechtsfolge dieser Norm im vorliegenden Fall auch angemessen sind. Das hatte das Landgericht Leipzig nicht mit der notwendigen Sorgfalt getan, weshalb der BGH die Sache dorthin zurückverwies.

    Florian Gempe
    Rechtsanwalt
    Strafverteidiger