• Arbeitsrecht

    Tankkartenbetrug und fristlose Kündigung

    Gerade in Zeiten des Personalmangels gewährt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gerne zusätzliche Anreize wie Willkommensboni, Inflationsausgleichsprämien oder auch andere Vergünstigungen wie z. B. auch Tankkarten. Wobei letztere gerade für Mitarbeiter im Außendienst üblich sind. Dies erleichtert die Abrechnung. Der Arbeitnehmer ist berechtigt, die Tankkarte entsprechend einer Vereinbarung im Arbeitsvertrag oder eines Kfz-Überlassungsvertrages zu nutzen. Es liegt in der Natur des Menschen bzw. die Versuchung ist groß, die dienstliche Tankkarte auch für private Zwecke zu nutzen, um die hohen Spritkosten zu sparen.

    Aber Vorsicht: Ein Tankkartenmissbrauch ist eine strafbare Handlung und kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen, so das Landesarbeitsgericht Niedersachsen im Urteil vom 29.03.2023 (2 Sa 313/22), ohne dass vorher eine Abmahnung ausgesprochen wurde.

    Ein wichtiger Kündigungsgrund liegt vor, wenn der Arbeitnehmer ein Vermögensdelikt zum Nachteil seines Arbeitgebers begeht und den Arbeitgeber oder eine dritte Person (Tankwart) täuscht, so dass dies zu einem Vermögensschaden beim Arbeitgeber führt.

    Der Arbeitnehmer war seit 2011 im Vertrieb tätig und verdiente über EUR 15.000,00 brutto monatlich. Er erhielt einen Dienstwagen der Marke BMW 320d Touring (Diesel) und zwei Tankkarten, die er nur für den Dienstwagen nutzen durfte. Der Arbeitnehmer nahm mit den dienstlichen Tankkarten Tank- und Cabrio-Waschvorgänge bei seinen beiden Privatfahrzeugen (Porsche 911 Cabrio [Superbenzin] und VW Touareg [Diesel]) im Zeitraum 2019 bis 2021 in erheblichem Umfang vor.

    Der Arbeitgeber kündigte das mit dem Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Eine Abmahnung war vorher nicht erfolgt. Der Gesamtschaden belief sich auf ca. 3.000 €.

    Das LAG Niedersachsen erachtete die außerordentliche Kündigung für wirksam. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB kann auch in der Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten liegen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen war eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich. Dass die Handlungen über 3 Jahre gingen und der Arbeitgeber davon nichts mitbekommen haben will bzw. evtl. geduldet hat, war nicht entscheidend.

    Hierzu führt das LAG unter B I 2 d (cc) (2) aus:

    „…Soweit er nunmehr geltend macht, weil über 12 Jahre hinweg keine der Abrechnungen moniert worden sei, habe er darauf vertrauen dürfen, dass er die Nutzung der Tankkarten im Sinne der Beklagten vornehme, greift dies nicht durch. Dem Kläger musste bewusst sein, dass er die Tankkarten entgegen der ihm eingeräumten Befugnisse einsetzte. Die Regelungen in der Dienstwagenrichtlinie hinsichtlich der Benutzung des Dienstwagens und der Tankkarte sind eindeutig. Die Beklagte darf auf die Vertragstreue ihrer Beschäftigten vertrauen und ist deshalb nicht verpflichtet, alle denkbaren Umgehungen eines Verbotes zu umschreiben. Dem Kläger ist auch durch den Zeugen E. nicht eingeräumt worden, die Tankkarten entgegen der Dienstwagenrichtlinie auch für die Betankung seiner Privatwagen einzusetzen. Aus dem Nichtbeanstanden seines Vorgehens durch die Beklagte konnte der Kläger nicht ableiten, sein Verhalten werde geduldet, zumal er seine Tankbelege auch nicht bei dem kündigungsberechtigten Geschäftsführer der Beklagten oder bei dem Personalleiter eingereicht hat, sondern in der Buchhaltung. Dies gilt insbesondere auch bei Berücksichtigung der Nutzung der Tankkarte für die Cabrio-Pflege. Dieser Einsatz der Tankkarte hat überhaupt keinen Bezug zu der dienstlichen Tätigkeit des Klägers, sondern ist eindeutig seinem Privatleben zuzuordnen. Es ist auch nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht behauptet, dass er davon ausgehen durfte, die 14-tägigen Tankkartenabrechnungen der Mineralölfirmen würden dem kündigungsberechtigten Geschäftsführer der Beklagten oder bei dem Personalleiter vorgelegt. Insgesamt konnte der Kläger deshalb aus der Nichtbeanstandung seiner Tankkartenbelege eine Duldung oder Genehmigung seines Verhaltens durch die Beklagte nicht ableiten. Der Kläger hat planvoll und zielgerichtet gehandelt. Angesichts der Häufigkeit der fehlerhaften Nutzung liegt kein Flüchtigkeitsfehler oder einmaliger Ausrutscher vor. Eine Wiederherstellung des für das Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauens konnte durch den Ausspruch einer Abmahnung nicht erwartet werden. Unabhängig davon ist tragend auszuführen, dass zumindest bei Gesamtbetrachtung aller Verstöße im Hinblick auf die klaren Regelungen zum Umgang mit den Tankkarten eine Abmahnung entbehrlich war.“

    Fazit:

    Es ist immer wieder zu sehen, dass Arbeitnehmer sich weitere Vorteile im Arbeitsverhältnis verschaffen wollen. Dies war auch vorliegend der Fall. Es scheint auch so zu sein, dass der Arbeitgeber oder zumindest ein Vorgesetzter diese Pflichtverletzungen durchaus mitbekam. Aber wie so häufig gilt: wenn die Erfolge stimmen, sieht man gerne und wohlwollend über Versäumnisse des Arbeitnehmers hinweg. Bleiben die Erfolge jedoch aus oder kommt es zu Spannungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, kommen diese Pflichtverletzungen wieder zu Tage und müssen für eine Kündigung herhalten. Auch hier gilt: es kommt in jedem Einzelfall darauf an, ob die Pflichtverletzung für den Ausspruch einer fristlosen außerordentlichen Kündigung reicht, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde, ob vorher eine Abmahnung ausgesprochen werden hätte müssen und ob der Betriebsrat ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung angehört wurde.

  • Aktuell,  Arbeitsrecht

    Unwirksame Versetzung in ein anderes Team

    Unwirksame Versetzung in ein anderes Team 

    LAG Thüringen vom 09.05.2023, Az. 1 Ta BV 5/22 

    In einem Produktionsbetrieb setzten die Teamleiter einer Abteilung die Arbeitnehmer von einem Team zu anderen Teams um, wie dies erforderlich und betrieblich notwendig war. Die Arbeitsaufgaben blieben gleich. Allerdings änderte sich das „Arbeitsregime“. Der Betriebsrat monierte dieses Vorgehen und nahm Versetzungen der betroffenen Arbeitskollegen an. Da es zu keiner Einigung mit dem Arbeitgeber kam, bedurfte es einer gerichtlichen Klärung. 

    Das Thüringer Landesarbeitsgericht bejahte eine Versetzung bei der Zuweisung eines Beschäftigten zu einem Team mit einem anderen Arbeitsbereich und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Dabei sah es die Änderung des Arbeitsbereichs sehr weit. So wenn sich der Inhalt der Arbeitsaufgaben, die Position des Beschäftigten oder dessen Arbeitsplatz ändert. Die Änderung könne auch darin bestehen, dass der Beschäftigte mit neuen Kollegen zusammenarbeite oder er seine Aufgaben innerhalb einer anderen Einheit erfüllen müsse. 

    Bei gleichbleibender Tätigkeit eine Versetzung anzunehmen, gelte nur dann, wenn für den Mitarbeiter „ein in seinem Arbeitsalltag spürbares anderes Arbeitsregime gelte“. Dabei sei vor allem relevant, dass der Teamwechsel mit einem neuen Teamleiter einhergehe, der auch für disziplinarische Arbeitsanweisungen und Urlaubsbewilligung etc. zuständig sei. Zudem könne es sein, dass der Beschäftigte „andere“ Tätigkeiten übernehmen müsse. 

    Das LAG hatte die Revision nicht zugelassen, da es sich um eine Einzelfallentscheidung handelte basierend auf den Umständen des streitgegenständlichen Falles. 

    Hinweise: 

    Auch wenn es sich vorliegend um eine kollektivrechtliche Entscheidung handelte, können die Grundsätze durchaus auch auf die individualarbeitsrechtliche Versetzung übertragen werden. Mitunter werden Versetzungen eingesetzt, um unliebsame Mitarbeiter „loszuwerden“ oder „kalt zu stellen“. Teilweise über Jahre hinweg eingebürgerte Strukturen und Grüppchenbildungen mit Arbeitskollegen sollen oder müssen mitunter aufgelöst werden.  

    Hat der Arbeitnehmer dann den Betriebsrat auf seiner Seite, ist dies von großem Vorteil, wenn er gegen die Versetzung vorgehen will. Auch kommt es vor, dass die Versetzung im rechtlichen Sinne durch den Arbeitgeber nicht als Versetzung deklariert wird, sondern als Umsetzung in ein anderes Team oder Zuweisung eines neuen Teams, oder sonstige unbefangene Formulierungen, so dass man auf den ersten Blick unter Umständen gar nicht auf eine Versetzung kommen könnte.   

    Wenn der Betriebsrat nicht zustimmt, ist die Versetzung unwirksam, egal ob der Mitarbeiter der Versetzung zugestimmt oder er sich damit mehr oder weniger abgefunden hat. Natürlich kann die Zustimmung durch ein gerichtliches Verfahren ersetzt werden. 

    Die Entscheidung könnte große Auswirkungen haben, je nachdem wie sie in der Praxis beachtet wird. Man denke nur an Abteilungen in Krankenhäusern, wo es gang und gäbe ist, die Krankenschwestern oder medizinisch-technischen Angestellten von einem Bereich in einem anderen Bereich aufgrund Personalmangels einzusetzen. Häufig dürfte hierbei der Betriebsrat nicht beteiligt worden sein, da man möglicherweise gar nicht von einer Versetzung ausgeht, es gar keine andere personelle Möglichkeit gibt oder man schlichtweg keine Zeit hat, die Zustimmung einzuholen.  

    Ob dann letztlich eine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG vorliegt, muss stets im Einzelnen geprüft werden.   

  • Arbeitsrecht

    Inflationsausgleichsprämie als Vergleichspotential

    Relativ neu und teilweise unbekannt ist die seit 26.10.2022 gesetzlich geregelte Möglichkeit einer Inflationsausgleichsprämie (kurz IAP). Gem. § 3 Nr. 11c EStG kann der Arbeitgeber bis 31.12.2024 dem Arbeitnehmer eine IAP bis zu einer Höhe von 3.000,00 € zahlen.

    § 3 Nr. 11c EStG lautet:

    Steuerfrei sind,

    zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 26. Oktober 2022 bis zum 31. Dezember 2024 in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bis zu einem Betrag von 3 000 Euro“.

    Bei diesem Betrag handelt es sich um einen Nettobetrag, d.h. es sind weder Steuern

    noch Sozialversicherungsabgaben zu entrichten.

    Aufgrund des Wortlautes der Bestimmung lann die IAP in mehreren Teilbeträgen, maximal allerdings in Höhe von 3.000,00 € gezahlt werden.

    Es muss sich um einen Arbeitnehmer im steuerlichen Sinne handeln, freie Mitarbeiter sind somit ausgeschlossen.

    Dies kann für die Arbeitsvertragsparteien von enormer Bedeutung sein, insbesondere wenn sie sich in einem außergerichtlichen oder gerichtlichen Streit befinden. Je nach den Umständen des Einzelfalles kann eine Einigung und Beendigung des Streits in Betracht kommen, indem  diese IAP gezahlt wird und sich die Parteien im übrigen darauf verständigen, dass keine weiteren Ansprüche bestehen. Natürlich darf die IAP nicht anstelle des Lohns gezahlt werden.

    Beachte: Bei der Vergleichsformulierung sollte großer Wert auf die einzelnen Regelungen und des Wortlautes gelegt werden.

    Rudolf Hahn
    Rechtsanwalt
    Fachanwalt für Arbeitsrecht

  • Arbeitsrecht

    Bemerkenswertes Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 29.03.2022

    Unwirksame Suspendierung von Arbeitnehmern im Gesundheitswesen

    Liebe Leser,

    das Arbeitsgericht Dresden Urteil vom 29.03.2022, Az. 9 Ga 10/22 gab einer Pflegefachkraft recht und verurteilte die Arbeitgeberin zur tatsächlichen Beschäftigung trotz Suspendierung im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.

    Die Arbeitnehmerin habe einen Anspruch auf Beschäftigung aufgrund des unbeendeten Arbeitsverhältnisses gem. § 611 a Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag. Neben der Beschäftigungspflicht ist der Arbeitgeber auch verpflichtet, die vertraglich vereinbarte Vergütung zu zahlen.

    Wiederholt hatte bereits das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der Arbeitnehmer aufgrund des im Grundgesetz verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechtes und der Menschenwürde einen allgemeinen Beschäftigungsanspruch habe. Eine einseitige Suspendierung von der tatsächlichen Arbeitsleistung ohne Vergütung – wie dies aktuell einige Arbeitgeber bis Ende des Jahres machen – ist rechtlich unzulässig. Eine Suspendierung – allerdings in einem anderen Kontext – hatte bereits das Bundesarbeitsgericht völlig zu Recht im Jahre 1993 für unzulässig angesehen.

    Hieran kann auch die Argumentation der Arbeitgeberseite mit § 20 a IfSG nicht greifen. Methodologisch geht das Arbeitsgericht nach den Grundsätzen der Systematik des § 20 a IfSG vor und beruft sich auch auf die Gesetzesbegründung zur BT-Drucksache 20/188. Im Ergebnis ist das Verbot der Beschäftigung ausschließlich in § 20a Absatz 3 Satz 4 IfSG geregelt für Neueinstellungen ab dem 16.03.2022. Es fehlt an einem Beschäftigungsverbot für bestehende Beschäftigungsverhältnisse. Allein das Gesundheitsamt hat zu entscheiden, ob sie dem betroffenen Arbeitnehmer untersagt, den Betrieb zu betreten und zu arbeiten, vgl. § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG.

    Man kann sogar noch einen Schritt weiter gehen und schlussfolgern, dass die Regelungen in § 20 a IFSG mit dem Grundgedanken der Berufsfreiheit, wie er vom Bundesverfassungsgericht präzisiert wurde (vgl. Bundesverfassungsgericht Entscheidung 105, 265 und 103, 172) nicht vereinbar ist und einen Verstoß gegen Art. 12 GG darstellt.

    Es bleibt zu hoffen, dass sich andere Gerichte der überzeugenden Argumentation des Arbeitsgerichts Dresden anschließen.

  • Arbeitsrecht

    Systematische Zeiterfassung – Beziehungen unter den EU-Mitgliedstaaten

    Liebe Leser,

    heute ein Hinweis in eigener Sache:

    In meinem Beitrag

    “ Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur systematischen Arbeitszeiterfassung als rechtliche Grundlage der Beziehungen unter den EU-Mitgliedstaaten “

    in der Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht (ZESAR) 2020, 368ff. gebe ich einen kompakten Überblick über die Entscheidung des EuGH vom 14.5.2019 (Rs. C-55/18) über die systematische Arbeitszeiterfassung. Ich untersuche die Rolle der EU-Mitgliedstaaten untereinander, denn die Einrichtung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung ist für die einzelnen Mitgliedstaaten verpflichtend. Dies hat das Ziel ein übergreifendes einheitliches Rechtssystem im Arbeitsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten zu schaffen, um ein unionsweiten Arbeitnehmerschutz zu gewährleisten.

    Viel Spaß beim Lesen

    Ihr

    Rudolf Hahn

    Rechtsanwalt

    Fachanwalt für Arbeitsrecht