URAUBSABGELTUNG – KEIN AUTOMATISCHER VERFALL BEI FEHLENDEM URLAUBSANTRAG
Liebe Leser,
Es ist nichts ungewöhnliches, dass ein Arbeitnehmer es schlichtweg vergisst, rechtzeitig vor dem Jahresende seinen ihm noch zustehenden Urlaub beim Arbeitgeber geltend zu machen und zu nehmen bzw. eine Übertragung ins I. Quartal des Folgejahres zu vereinbaren. Bislang war es so, dass der Urlaubsanspruch bzw. bei Ausscheiden der Abgeltungsanspruch ersatzlos wegfielen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist mit Urteil vom 06.11.2018 – C-619-16 dem Arbeitnehmer jedoch entgegengekommen. Danach verliert der Arbeitnehmer den ihm zustehenden gesetzlichen Mindesturlaub nicht automatisch, nur weil er keinen Urlaubsantrag gestellt hat.
Wörtlich heißt es unter Rdnr. 58:
„ Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, sofern sie dazu führt, dass der Arbeitnehmer, der vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, die ihm nach dem Unionsrecht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für diesen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verliert, und zwar automatisch und ohne vorherige Prüfung, ob er vom Arbeitgeber z. B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen.“
Bislang galt in Deutschland, dass nicht genommener Urlaub am Jahresende verfiel, wenn der Arbeitnehmer ihn bis dahin nicht beantragt hatte.
Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen nunmehr sowohl der Verfall von Urlaubstagen als auch die Ansprüche auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub nicht automatisch untergehen, weil der Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder in dem Kalenderjahr vor Ablauf des Bezugszeitraums keinen Urlaub beantragt hat.
„ Ein Anspruchsuntergang ist nur möglich, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zuvor durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen“, so der EuGH.
Der Arbeitgeber ist im Prozeß darlegungs- und beweispflichtig. Begründet wird dies damit, dass der Arbeitnehmer die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses sei.
Selbstredend führt der EuGH ergänzend aus, dass eine Pflicht des Arbeitgebers, Arbeitnehmer zum Urlaub zu zwingen bzw. deren Urlaub einseitig festzulegen, nach wie vor nicht bestehe.
Der bisheriger Grundsatz, dass nicht genommener Urlaub zum Jahresende bzw. spätestens mit Ablauf des 31.03. des Folgejahres verfällt, wenn er nicht beantragt wurde, gilt in Bezug auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht mehr.
Fazit:
Arbeitgeber sollten schriftlich dokumentieren, zu welchem Zeitpunkt Urlaubsansprüche ersatzlos verfallen. Dies gilt vor allem aber auch für die ordnungsgemäße Aufklärung des betroffenen Arbeitnehmers über das Erlöschen des Urlaubsanspruches. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte sich die Aufklärung unterschriftlich quittieren lassen.
Arbeitnehmer und deren rechtliche Berater müssen künftig stets prüfen, ob nicht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch irgendwelche Urlaubsabgeltungsansprüche geltend zu machen sind.