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Hypothetische Reisekosten

Liebe Leser,

bekanntlich trägt jede Partei ihre Kosten in einem Arbeitsgerichtsprozeß in der ersten Instanz selbst. Dadurch soll das Kostenrisiko der Partei begrenzt werden.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob hypothetische Reisekosten der obsiegenden Partei vom Sitz des Unternehmens zum Gerichtsort, erstattungsfähig sind. Dies bejahte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Entscheidung vom 17.08.2015, Az. 10 AZB 27/15.

Zugrunde lag folgende Fallkonstellation:

Die Arbeitgeberin vertrieb Alarm- und Videoüberwachungsanlagen. Hauptsitz war in Augsburg. Sie hatte eine weitere Betriebsstätte in der Nähe von Kiel mit einem Teamleiter und 5 bis 6 Arbeitnehmer, darunter auch der Kläger. Dieser erhob Klage wegen Vergütung vor dem Arbeitsgericht Kiel, welches 3 Termine durchführte. Hierfür erschien jedesmal der Prozeßbevollmächtigte der Arbeitgeberin, der seine Kanzlei in Augsburg hatte, für die Arbeitgeberin als deren einziger Vertreter. Der Kläger verlor beim Arbeitsgericht Kiel, ebenso wurde die Beufung zurückgewiesen. Es wurden ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Für die 3 erstinstanzlichen Gerichtstermine beantragte der Rechtsanwalt der Arbeitgeberin hypothetische Reisekosten von etwas mehr als 2.000 €, welche auch durch das Arbeitsgericht festgesetzt wurden. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde und die Rechtsbeschwerde waren erfolglos.

Das BAG hierzu:

Reisekosten sind notwendige Kosten, wenn eine Partei in der konkreten Lage die die Kosten verursachende Reise vernünftigerweise als sachdienlich ansehen darf. Jede Partei soll die Kosten der Prozessführung so niedrig halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren läßt. Erscheint die Partei zum Gerichtstermin nicht selbst, sondern der Prozeßbevollmächtigte, sind die durch diesen entstehenden Kosten im Rahmen der hypothetisch berechneten Reisekosten, die der Partei ansonsten entstanden wären, grundsätzlich erstattungsfähig. Dies auch dann, wenn der Rechtsstreit am Erfüllungsort des Arbeitsverhältnisses geführt wird.

Für die Frage der Notwendigkeit dieser Kosten kommt es darauf an, ob eine ordnungsgemäße Prozessführung durch Mitarbeiter der Partei am Gerichtsort möglich gewesen wäre. Wie so häufig kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Vorliegend war der Teamleiter dazu nicht in der Lage. Er war nicht ausreichend kompetent, um die streitgegenständlichen Rechtsfragen zu behandeln. Dies wurde letztlich auch von dem Kläger nicht wirklich in Abrede gestellt bzw. substantiiert bestritten.

Wie sie sehr schön an den einzelnen Voraussetzungen einer Erstattungsfähigkeit sehen, muß sehr genau geprüft werden, ob ein derartiger Erstattungsanspruch für die hypothetischen Reisekosten der Partei besteht.